Bürgerversammlung – Deutzen: Aufgeheizte Stimmung wegen neuer Flüchtlingsunterkunft

Zur Bürgerversammlung fordert der Ortschaftsrat die Polizei an: In Deutzen herrscht dicke Luft – wegen der Pläne des Landkreises Leipzig, in dem Dorf eine neue Flüchtlingsunterkunft zu schaffen.

Die Leute von der AfD um den Landtagsabgeordneten Jörg Dornau sind wieder die Ersten vor Ort. Vor der Bibliothek in Deutzen, in der an diesem Mittwochabend der Ortschaftsrat tagt, verteilen sie Handzettel. „Masseneinwanderung stoppen“, steht darauf. Wann immer sich aus einer örtlichen Situation politisches Kapital schlagen lässt, sind die Rechtspopulisten zur Stelle. Und in Deutzen ist aus deren Sicht gerade wirklich viel zu holen.

In der Bibliothek, die mal eine Kaufhalle war, drängen sich kurz darauf über 100 in der Mehrzahl aufgebrachte Menschen. Es werden noch mehr, als eine Gruppe dazustößt, die aus der nahen Kreisstadt Borna zurückgekehrt ist. Dort haben die Abgesandten aus dem Dorf erlebt, wie ein Ausschuss des Kreistages einen Beschluss fasste, der die Deutzener auf die Palme bringt.

„Unser Herzstück“ – so denken viele über die Schule

Der Kreis will für 630 000 Euro eine ehemalige Arbeiterunterkunft in Deutzen kaufen, um sie als Flüchtlingsheim zu nutzen. Die Sitzung des Ortschaftsrates wird zur ersten öffentlichen Informationsveranstaltung zu diesem Thema. Genauer gesagt: Die Sitzung wird zu einer Protestveranstaltung.

Was ist passiert? In Deutzen mit seinen rund 1500 Einwohnern wurde vor vier Jahren das Gebäude der Grundschule gesperrt, das nicht nur Bildungsort, sondern auch gesellschaftliches Zentrum war. Der Rest der noch eigenständigen, aber in den Hauptort Neukieritzsch ausgelagerten Schule wird in wenigen Wochen aufhören zu existieren. „Unser Herzstück“ – so denken viele Deutzener über ihre Schule.

Das ist die aus Deutzener Sicht verheerende Chronologie der jüngsten Ereignisse: Am Sonntag fand in der Nachbarstadt Regis-Breitingen ein Bürgerentscheid statt. Hätte dieser Erfolg gehabt, wären die Chancen groß gewesen, dass Deutzen in ein paar Jahren an derselben Stelle eine neue Schule, eine Oberschule erhält. Doch die Regiser entschieden anders – und zerbrachen damit den wohl letzten Strohhalm für eine Schule in Deutzen.

Ex-Schulleiterin kritisiert den Bürgermeister

Während in Regis-Breitingen abgestimmt wurde, hatte das Landratsamt seine neuen Pläne für Deutzen längst festgezurrt: Der Kreissausschuss, ein Gremium des Kreistages, musste nur noch über den Kauf des Hauses entscheiden – und dafür 630 000 Euro freigeben. Das passierte drei Tage nach der Abstimmung in Regis-Breitingen.

Da waren Ungemach und Protest programmiert. So offenkundig, dass der Ortschaftsrat Polizisten anforderte, die in Mannschaftsstärke in Einsatzuniform die Bibliothek von außen beobachteten. Was auch nicht gut ankam. Ebenso wie das Agieren von Bürgermeister Thomas Meckel, der eine Woche verstreichen ließ, ehe er die Einwohner informierte.

„Herr Bürgermeister, ich vermisse ein wenig Kampf und Engagement für uns bei Ihnen.“ Renate Blonski, die über 70-jährige frühere Leiterin der Grundschule, ruft das mit immer noch kräftiger Stimme in den Saal und erntet dafür tosenden Beifall.

„Was sollen die den ganzen Tag machen?“

In den empörten, hitzigen, lauten Wortmeldungen schält sich heraus, was die Deutzener aufregt. Und wie sehr sie den Kauf des Arbeiterwohnhotels mit Steuergeldern immer wieder mit ihrer Schule in Verbindung bringen: Mit dem Satz „Wieder muss Deutzen leiden“ in seiner Eröffnungsansprache hat Ortsvorsteher Andy Krummsdorf (Die Linke) die Richtung für den Volkszorn an diesem Abend vorgegeben. „Macht die Schule wieder auf“, lautet dann auch der erste Zwischenruf.

Und dann das viele Geld: Über eine Million Euro, sagen Deutzener, soll die bis 2014 selbstständige und zuletzt bis zur Zahlungsunfähigkeit verschuldete Gemeinde einst in die Sanierung des Arbeiterhotels gesteckt haben. Später soll es an den jetzigen Eigentümer für nur 25 000 Euro versteigert worden sein. Und der bekommt nun 630 000 Euro von der öffentlichen Hand. Außerdem gebe es in Deutzen keine Geschäfte, keine Infrastruktur für die Flüchtlinge, heißt es. „Was sollen die den ganzen Tag machen?“, fragt ein Anwohner.

Bis zu 180 Geflüchtete kommen pro Monat in den Kreis

Und natürlich kommen auch die sonst üblichen Vorbehalte und Befürchtungen gegenüber Füchtlingsheimen zur Sprache. Das reicht von der Furcht vor Einbrüchen bis hin zur bohrenden Frage eines aufgebrachten Bürgers, ob die Verantwortliche des Landratsamtes ihm garantieren könne, dass nicht ein Flüchtling seiner Tochter etwas antut.

Das kann Ines Lüpfert, die zuständige Beigeordnete für Flüchtlinge beim Landkreis Leipzig (sie ist übrigens auch für Schulangelegenheiten zuständig) natürlich nicht. Das sagt sie ehrlich. Und sie spricht davon, dass der Landkreis vorläufig plane, ukrainische Familien in Deutzen unterzubringen. Das allerdings wird auch davon abhängig sein, welche Flüchtlinge dem Kreis zugewiesen werden.

Es waren einmal um die 140 Menschen pro Monat, derzeit sind es wohl um die 180 Flüchtlinge pro Monat. „Wir sind gesetzlich verpflichtet, diese Menschen unterzubringen“, betont Ines Lüpfert.

„Das Ding ist gegessen“

Von bisher zehn Gemeinschaftsunterkünften des Landkreises Leipzig befinden sich sechs in dem überschaubaren Gebiet zwischen Borna, Regis-Breitingen, Rötha und Böhlen. Deutzen liegt mittendrin. Im Muldental, dem anderen Teil des Landkreises, gebe es kaum geeignete Gebäude, erläutert die Landratsamtsmitarbeiterin – und beantwortet so die Frage von Deutzener, warum die Geflüchteten ausgerechnet im südlichen Teil des Landkreises konzentriert werden.

Zufrieden verlässt am Ende niemand die Bibliothek. „Das Ding ist gegessen“, setzt sich als Erkenntnis bei vielen durch. Andere glauben noch daran, dass die Gemeinschaftsunterkunft verhindert werden könne. Denn die Gemeinde will ein Vorkaufsrecht für das Gebäude prüfen. Und einige, die in Borna dabei waren, sind der Meinung, dass es bei dem Beschluss einen Formfehler gegeben habe.

Am Ende ruft eine Frau in den Saal, dass am Freitag in Deutzen eine Mahnwache stattfindet. Die ist von der AfD angemeldet worden.

LVZ